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"Es geht um Eltern, die das Gefühl haben, dass für sie "etwas nicht stimmt"." - Autorin Anna Aptus im Interview

Autorin Anna Aptus (Bildrechte bei der Autorin)
Autorin Anna Aptus (Bildrechte bei der Autorin)

Liebe Anna, "Herbarium der Gefühle" ist dein erstes Buch. Bitte beschreibe uns einmal, worum es darin konkret geht.  

Es geht um Eltern, die das Gefühl haben, dass für sie "etwas nicht stimmt", aber nicht sicher sind, was genau los ist oder wie sie damit umgehen wollen. Es ist ein erzählendes Sachbuch für psychisch belastete Eltern (oder andere Personen, die Care-Arbeit für ein Kind leisten).

Die Idee ist, den eigenen psychischen Zustand erstmal wertfrei zu betrachten und nachzufühlen, aus welchen konkreten Teilen das allgemeine "etwas stimmt nicht" besteht. Ähnlich zu einem Wildkräuterführer, der im Wald dabei hilft verschiedene Kräuter und Pilze zu benennen, aber die zum Beispiel die Brennnessel nicht für ihre Eigenschaften verurteilt, geht mein Buch vor. Es werden verschiedene Symptome von weit verbreiteten psychischen Erkrankungen bei Eltern vorgestellt. Die Lesenden haben die Möglichkeit, daran ihren eigenen Zustand besser zu greifen und zu beschreiben. Dabei geht es nicht darum, eine Diagnose zu stellen oder sich selbst zu verurteilen, sondern ein besseres Verständnis für den eigenen Zustand zu bekommen. Das bildet die Grundlage, um dann einen Plan zu machen: möchte ich Therapie probieren? Kann mir eine Haushaltshilfe etwas abnehmen? Wo bekomme ich Hilfe?

Das Buch basiert auf wissenschaftlichen Quellen, beim Schreiben wurde ich von mehreren ausgebildeten Psychotherapeut:innen beraten. 

Was war deine Motivation, das "Herbarium der Gefühle" zu schreiben? Für wen hast du es geschrieben?

Als es mir als Mutter nicht gut ging, habe ich sehr lange gebraucht, bis ich einordnen konnte, dass es ein psychisches Thema ist und ich mich endlich an eine Therapeutin gewandt habe. Mein Problem war, dass ich als "ernstzunehmende Junge-Mutter-Störung" nur die Wochenbettdepression (oder postpartale Depression) kannte. Zu diesen Symptomen schien ich aber nicht zu passen. Hätte ich früher gewusst, dass es eine ganze Reihe von anerkannten psychischen Themen gibt, hätte ich möglicherweise früher Hilfe bekommen. Als es mir dann deutlich besser ging, wollte ich zuerst nur meine eigene Geschichte aufschreiben. In meinem Kopf führte ich dann Gespräche mit anderen Betroffenen, die sich möglicherweise auch nicht trauen, Hilfe zu suchen, weil ihr Problem "nicht schlimm genug" ist. Dann kam mir die Idee einfach mal aufzuzeigen, welche Symptome ein Anzeichen dafür sein können, dass etwas im Argen liegt. Und zu schreiben, dass es sowieso einfach ausreicht wenn es dir nicht gut geht, um nach Hilfe (z.B. in Form einer Psychotherapie) zu suchen. 

 

Welche Erfahrungen hast du in Gesprächen mit anderen Müttern bezüglich psychischer Gesundheit gemacht?

In meinem Empfinden (aber das ist vielleicht auch nur in meiner Bubble so), nehmen Menschen das Thema psychische Gesundheit zunehmend ernster als früher. Das finde ich gut. Aber es ist immer noch so, dass Menschen es in meinem Umfeld leichter fällt, Empathie für ein Problem einer Freundin zu finden, als sich selbst gegenüber verständnisvoll zu sein. Oder eben einer Freundin zu empfehlen, sich Hilfe zu suchen, bei einem eigenen Problem aber ewig darauf zu warten, dass es "schlimm genug für Hilfe" wird. Ich hoffe, das ändert sich noch.

 

Hatte das Schreiben deines Buches für dich selbst einen therapeutischen Effekt? 

Für mich persönlich hatte die Psychotherapie den therapeutischen Effekt. Aber das Schreiben hat mir auch sehr gut getan, weil ich mir erlaubt habe, in meinem Tempo die Ereignisse Revue passieren zu lassen und mir vorgestellt habe, wie es wäre, wenn jemand diese Worte zu mir damals gesagt hätte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass manche schwierigen Ereignisse, nachdem ich sie mehrmals in verschiedenen Worten auseinandergenommen und beschrieben hatte, für mich an Unbezwingbarkeit verloren haben.

 

Hast du einen zentralen Tipp für psychisch belastete Mütter, den du mit uns teilen kannst?

Das ist eine schwierige Frage, weil die Situationen sehr individuell sein können. Aber ich denke insgesamt ist es wichtig, die eigenen Gefühle und Zustände ernst zu nehmen und nicht aufzuhören nach einer Konstellation im Zuhause-Kosmos zu suchen, die langfristig machbar ist. 

 

Welche Rolle spielen die Illustrationen von Rebecca Camen im Buch für dich?

Ich finde, dass besonders Mütter oder Sorgepersonen, die wenig Zeit haben oder denen es nicht gut geht, Informationen in leicht verständlicher Form bekommen sollten. Bücher für Kinder sind nicht umsonst illustriert, wir wollen es Kindern schmackhaft machen, sich auf den Inhalt einzulassen. Darum war es mir wichtig, den nicht immer angenehmen Inhalt durch Bilder zu bereichern. Außerdem hoffe ich, dass die Bilder dazu anregen, sich beim Lesen Zeit zu lassen und anhand der Illustrationen in sich hinein zu fühlen. 

 

 

 

Was wünschst du dir für dein Buch "Herbarium der Gefühle"?

Ich wünsche mir, dass es möglichst viele Menschen erreicht, die es brauchen. Sowohl beim Umfang, als auch beim Format und der Sprache war es mir wichtig, möglichst wenig Hürden zu haben. Darum ist es kurz, in einzeln lesbare Abschnitte gegliedert, illustriert und als Softcover gedruckt. Aber eigentlich wünsche ich mir auch, dass es möglichst wenig Menschen brauchen, weil es ihnen auch so in ihrer Sorgerolle wirklich gut genug geht.

 

Welches Buch oder welche Bücher liest du gerade selbst, völlig unabhängig von deinem eigenen Buch?

Das sind Bücher, die ich immer wieder lese, weil sie mir jedes Mal ein neues Stück Verständnis der Welt oder meiner Innenwelt offenbaren:

 

Radikale Zärtlichkeit. Warum Liebe politisch ist von Şeyda Kurt

Die Träume anderer Leute von Judith Holofernes

Fleabag: The Scriptures von Phoebe Waller-Bridge

Der Ursprung der Welt von Liv Strømquist

A Life's Work von Rachel Cusk

Once Upon a River von Diane Setterfield

Unorthodox von Deborah Feldman

Stadt der Diebe von David Benioff

Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber reden von Lori Gottlieb

Sounds Like Me: My life in Song (So Far)  von Sara Bareilles

The 200s Made Me Gay von Grace Perry

Wer wir sind von Lena Gorelik

Harry Potter von Joanne Rowling 

Herzlichen Dank, liebe Anna!

Mehr über Anna Aptus erfahrt ihr hier.