Worum geht es in deinem Essay „Ehrenfrau“ – und an wen richtet er sich?
„Ehrenfrau“ ist ein feministischer Blick auf das Ehrenamt – und gleichzeitig eine wütende Liebeserklärung an all die Menschen, die still den Laden am Laufen halten. Ich schreibe darüber, warum Ehrenamt oft weiblich ist, was das mit System zu tun hat – und wie eine gerechtere Verteilung von Verantwortung, Anerkennung und Macht aussehen könnte.
Der Essay richtet sich an alle, die sich kümmern, obwohl keiner fragt. Die sich einmischen, obwohl es Kraft kostet. Und an die, die ahnen, dass Freiwilligkeit manchmal nur ein hübsches Wort für strukturelle Lücken ist.
Wie ist deine Beziehung zum Thema Ehrenamt? Wer oder was hat dich dazu inspiriert, dich für Sichtbarkeit und Politisierung einzusetzen?
Ich bin im Ehrenamt gelandet wie andere beim Zähneputzen: Es musste halt jemand machen. Erst Schülerrat, dann Elternrat, dann Verein, dann Politik. Irgendwann wurde mir klar: Ehrenamtliche Arbeit wird gern beklatscht – aber selten verstanden. Vor allem dann nicht, wenn sie weiblich, leise und unsichtbar ist. Mich treibt nicht nur das Helfen, sondern die Frage: Wer profitiert davon, wenn andere sich selbst ausbeuten? Diese Strukturen sichtbar zu machen, ist kein Hobby – es ist politischer Aktivismus mit Edding, Excel und Endgegnerinnen-Energie.
In deinem Essay betonst du, dass Ehrenamt für dich weiblich ist. Was meinst du mit einem feministisch gedachten Ehrenamt?
Feministisch heißt nicht: rosa Buttons. Es heißt: Macht hinterfragen. Ein feministisch gedachtes Ehrenamt ist eines, das die Realität von Menschen ernst nimmt – vor allem die von Frauen, Queers, Alleinerziehenden, Menschen mit Behinderungen und Migrationsgeschichte. Es fragt: Wer hat eigentlich die Zeit, sich „freiwillig“ zu engagieren – und warum? Wer kriegt Applaus – und wer macht den Kuchen? Ehrenamt muss endlich so organisiert sein, dass es niemanden ausbrennt, sondern stärkt. Und dass nicht immer dieselben geben, während andere weiter Karriere machen.
Du schreibst unter anderem auch über feministische Stadtentwicklung. Wo siehst du in Leipzig noch Potenzial?
In Leipzig ist vieles möglich, allerdings gefährdet die aktuelle politische Lage weiteren Fortschritt. Feministische Stadtentwicklung heißt für mich: Planung von unten, nicht von oben. Räume für Sorgearbeit, sichere Orte für marginalisierte Gruppen, Kulturangebote jenseits von Touri-Hotspots.
Ich träume von Stadtteilen, in denen nicht nur Fahrräder Platz haben, sondern Kinderwägen, Rollatoren und politische Ideen. Wo man sich trifft, nicht nur passiert. Leipzig hat das Potenzial, wieder Vorreiterin zu sein – aber es braucht feministische Stimmen im Stadtbild, nicht nur in Anträgen.
Welche Bücher liest du privat – hast du Empfehlungen?
Ich lese Bücher, die mir widersprechen, mir Recht geben, mir aufhelfen – manchmal alles auf einmal.
Zuletzt zum Immer-wieder-Lesen:
- Feminist City - Leslie Kern - Feministisches Sachbuch zur Stadtgestaltung
- Angst vorm Fliegen - Erica Jong - Großartiger Roman über weibliche Lust
- Die Liebe im Ernstfall - Daniela Krien - Ein Buch über Frauen aus und in Leipzig
Ich liebe Sprache, die politisch ist, ohne zu belehren – und Bücher, die kitzeln und kratzen. Gerne gleichzeitig. Und sowieso jeden Lyrikband von Mascha Kaléko.
Wo kann man in nächster Zeit mehr von dir sehen und hören? Was hast du geplant?
Wenn alles klappt: Überall dort, wo man laut und politisch sein darf.
Ich plane Lesungen zu „Ehrenfrau“ in der ganzen Republik, arbeite an meinem nächsten Essay, einem Roman und einer Reihe Activity Büchern. Im nächsten Jahr bin ich Speakerin auf einem Tag für Frauengesundheit und suche die nächste berufliche Herausforderung.
Welche aktuelle politische Herausforderung in Bezug auf deine Erfahrungen sieht du als besonders wichtig an?
Das Thema Weiterbildung in der Freizeit – insbesondere für das Ehrenamt. Und genau deshalb fordere ichweiterhin: fünf Tage gesetzlich verankerte Bildungszeit auch in Sachsen.
Weil politische und ehrenamtsbezogene Bildung keine Freizeitbeschäftigung sein darf – sondern Grundausstattung für eine handlungsfähige, demokratische Gesellschaft. Wer sich engagieren will, braucht Zeit, Wissen, Räume. Und nicht das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen.